Bericht: Susanne Wenger
Wer das geistige Wachstum des Menschen verstehen will, sollte die Mütter der Frühzeit betrachten, besonders ihre soziale Einbindung. Denn die kooperative Betreuung des Nachwuchses, die vor über einer Million Jahren in Afrika bei Menschenaffen begann, könnte das Überleben der Menschheit gesichert und ihre Entwicklung zu kulturell intelligenten, empathischen Wesen gefördert haben. Dies zeigt der Dokumentarfilm «Das Geheimnis der Urzeitmütter» von Anja Krug-Metzinger.
Sie gewann für ihren erstmals im April 2024 auf Arte ausgestrahlten Film den mit 10'000 Franken dotierten Prix Média 2024 der Akademien der Wissenschaften Schweiz. Die Dokumentation vermittelt mit ihrer sorgfältigen Recherche ein «eindrückliches und umfassend argumentiertes Bild der sozialen Evolution der Menschheit», lobte Jury-Präsidentin Helga Rietz bei der Preisverleihung am 15. November im Museum ALPS in Bern. Krug-Metzingers Beitrag vereint biologische, historische und feministische Studien und ist in dieser Interdisziplinarität laut der Jury «hochgradig wissenschaftlich». Zu gefallen wusste zudem das «gelungene Storytelling» der Autorin.
Die Preisträgerin schilderte den Anwesenden ihre filmische Reise, auf der sie die Bedeutung gemeinschaftlicher Fürsorge und uneigennützigen Verhaltens in der menschlichen Entwicklung erkannte. Ihr enthüllte sich «ein faszinierendes Paradox»: Die frühe Verletzlichkeit unserer Vorfahren, die vor einer Million Jahren knapp dem Aussterben entgingen, wurde «zum Katalysator unserer Entwicklung». Anja Krug-Metzinger sieht darin auch eine Erkenntnis für die Zukunft. Dies in einer Zeit, in der «unsere Fähigkeit, uns nachhaltig zu vermehren, das Überleben vieler Arten bedroht, auch unserer eigenen».
Mit der aktuellen Bedrohung der Gletscher durch die Klimaerwärmung befasst sich der zweite preisgekrönte Beitrag: «Les Glaces», Teil einer Multimedia-Serie zu den Folgen des Klimawandels in Grönland. Die Wissenschaftsjournalistinnen Aurélie Coulon (Le Temps) und Rachel Barbara Häubi (Heidi.news) sowie Kylian Marcos, Journalist für neue Formate (Le Temps), realisierten die Reportage. Sie gewannen den erstmals verliehenen Prix MultiMédia, ebenfalls mit 10'000 Franken dotiert, der neue digitale Erzählformen würdigt.
Die Umsetzung mit Videos, Grafiken und Texten gelang dem Team «eindrucksvoll und alle Sinne ansprechend», hielt Marianne Bonvin, Geschäftsführerin der Akademien der Wissenschaften Schweiz, fest. Das Team analysiere bekannte Fakten klar und gehe auch auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse ein. Die Preisträgerinnen erzählten am Anlass von ihren Aufenthalten in Südgrönland, «an vorderster Front einer schmelzenden Welt», wie sie ihre Serie betitelten. Sie begleiteten Forschende der Schweizer «GreenFjord»-Expedition beim Sammeln von Daten, sprachen mit der lokalen Bevölkerung und besuchten ein umstrittenes Minenprojekt für Metalle, die in der Energiewende gebraucht werden.
Dorthin gehen, wo die Menschen schon stark mit dem Klimawandel leben müssen. Dies nicht nur mit nüchternen Fakten und Zahlen untermauern, sondern in Bild und Ton veranschaulichen: Solcher Wissenschaftsjournalismus ist aufwändig und kostenintensiv. Die Journalistinnen erwähnten ausdrücklich, wer ihre Arbeit mitfinanziert hat, darunter die Gebert Rüf Stiftung und die Fondation Leenards mit ihrem Innovationsfonds für wissenschaftsbasierten multimedialen Journalismus.
Einen Newcomer-Werkbeitrag von 3’000 Franken erhielt Giovan Peyrotty für seinen Film «Feu et Corail», der ab Februar 2025 zu sehen sein wird. Der junge Geologe und Wissenschaftskommunikator begleitete Forschende der Universität Genf, die die Folgen von Vulkanausbrüchen auf die Korallenriffe in der Karibik untersuchen. Ihm gelingt laut Akademien-Geschäftsführerin Marianne Bonvin, «wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaft zu tragen».
So lautete denn auch die Kernbotschaft des Abends: Medienschaffende sind entscheidend im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Sie machen komplexe Forschungsergebnisse verständlich und beleuchten sie kritisch. Doch die Vermittlung steht auf der Kippe, da Schweizer Medienhäuser unter wirtschaftlichem Druck Stellen abbauen. Mit dem Prix Média setzen die Akademien ein Zeichen, betonte Moderatorin Astrid Tomczak-Plewka: «Unser Preis zeigt, wie wichtig es für eine lebendige Demokratie ist, dass möglichst viele Menschen Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen haben.»
Ein Weg, um besonders jüngere Menschen anzusprechen, sind Social Media. Zwei, die das virtuos beherrschen, gaben Einblick in ihr Handwerk: die Waadtländer Wissenschaftskommunikatorin und Unternehmerin Chloé Carrière und der Berner Archäologe Gino Caspari. «Es braucht mehr Wissenschafts-Influencer, denen das Publikum vertrauen kann», ist Carrière überzeugt. Als «Galactic Chloé» erklärt sie etwa auf ihrem Youtube-Kanal im silbernen Anzug das All, von Astrophysik bis Raumfahrttechnik. Ihr Publikum sind die 16- bis 35-Jährigen, sagt die Luft- und Raumfahrtsingenieurin mit EPFL-Master in Technologiemanagement.
Bei Social Media gehe es darum, eine Beziehung zu den Leuten aufzubauen. Chloé Carrière bringt sich in ihren Videoclips persönlich ein, illustriert Zusammenhänge zwischen verlangsamter Erdrotation und Klimawandel auch mal mit eigenem Pole-Dancing. So will sie ein Publikum an Wissenschaft heranführen, das noch nicht aktiv damit verbunden ist. Das Potenzial ist gross: Über vierzig Prozent der Schweizer Bevölkerung unterstützen die Wissenschaft passiv, gemäss der Studie Wissenschaftsbarometer Schweiz. Schon eine beachtliche Follower-Gemeinde hat sich Gino Caspari, Mitglied der Jungen Akademie Schweiz, erarbeitet. Der mit der Universität Bern und der Max-Planck-Institut assoziierte Wissenschaftler verpackt auf Instagram Archäologie in Fotos und Videos seines Alltags bei Ausgrabungen, etwa in Südsibirien.
«So kann ich der Forschung das Leben einhauchen, das den Studien-Papers fehlt», erklärte er. Caspari begann mit Social Media, um Verschwörungstheorien im Internet fundierte Archäologie entgegenzusetzen. Die akademische Welt seines Fachs reagierte zunächst skeptisch, besonders im deutschsprachigen Raum. Inzwischen gibt es Kolleginnen und Kollegen, die es ihm gleichtun, freut sich Caspari. Auch wenn man sich exponiert und mit den toxischen Seiten des Internets umgehen muss, lohne es sich, finden er und Chloé Carrière einhellig.
Fehlt der direkten Wissenschaftskommunikation nicht der kritische Blick unabhängiger Journalistinnen und Journalisten, die die Qualität von Studien einschätzen und Interessenskonflikte aufdecken? Diese Frage stellte Gesprächsleiterin Helga Rietz, Vorstandsmitglied des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus, der dieses Jahr 50 Jahre alt wird. Die Antwort kam ohne Zögern: Social Media bieten durch ihre grosse Reichweite die Chance, viele mit Wissen zur Kritik zu befähigen. Chloé Carrière sagte: «Als Bürgerinnen und Bürger haben wir eine Stimme und können kritisch auf die Wissenschaft einwirken.»