Prix Média

Wir brauchen exzellenten Wissenschaftsjournalismus. Der Prix Média fördert Medienschaffende mit Recherchebeiträgen und Preisgeldern für spannende Stories und innovative Formate.

Mit Journalismus Fehlinformation bekämpfen

 

Bern, 7. Oktober 2022

 

Was könnte brisanter sein als ein Podium über «Fake News und Verschwörungstheorien -Learnings für die Zukunft»? Im Rahmen der Preisverleihung Prix Média und Prix Média Newcomer für exzellenten Wissenschaftsjournalismus diskutierten Forschende und Journalist:innen am 29. September im Zürcher Debattierhauses «Karl der Grosse». Qualitätsjournalismus ist ein zentrales Anliegen der Akademien der Wissenschaften Schweiz, sie fördert diesen jährlich mit den Medienpreisen. Der Anlass wurde gemeinsam mit der Projektgruppe «Fake News» der Jungen Akademie Schweiz organisiert. Im Saal sassen 90 Interessierte.

 

© Bildquelle: Eric Schmid

 

Helle Klänge einer Querflöte in Begleitung mit Gitarre eröffnen den Abend. Astrid Tomczak-Plewka der Akademien der Wissenschaften Schweiz moderiert und fragt sich, angesichts des Veranstaltungsortes, wieviel «Fake» wohl in der Geschichte vom Karl dem Grossen steckt, den angeblich eine Hirschjagd an die Limmat führte. Der tägliche Kampf um die Wahrheit ist für Journalistinnen und Journalisten existenziell. Die Recherche nach Wahrheit ist bei Wissenschaftsthemen besonders aufwendig, braucht Fachwissen und viel Engagement. Die Auszeichnung für Qualitätsjournalismus von den Akademien der Wissenschaften Schweiz ist nötiger denn je, das hat sich während der Pandemie und jetzt beim Ukraine-Krieg deutlich gezeigt. Insgesamt 30 Beiträge wurden im Jahr 2022 eingereicht – viel Arbeit für die Jury. Der diesjährige Prix Média ist mit einem Doppelsieg ausgestattet. Zwei Journalist:innenteams haben besonders exzellente Arbeiten eingereicht und bekommen je 7’500 Franken als monetäre Anerkennung.

 

Das Team um This Wachter, Theres Lüthi, Patrick Imhasly und Simon Meyer gewinnt den Prix Média für die erste Episode seiner sechsteiligen Podcast-Serie «Skalpell und Wahn» für die «NZZ am Sonntag». Darin erzählen die Journalist:innen die Geschichte der Lobotomie. Die neurochirurgische Operation wurde nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit in den 1930er Jahren bis 1970 bei psychisch Kranken praktiziert. Der Podcast ist eine Mischung aus historischem Text und Geschichten von Zeitzeuginnen und – zeugen. Mit diesem Format wird das Interesse für wissenschaftliche Inhalte bei einem breiten Publikum geweckt. Das betont auch der Jurypräsident Thomas Müller.

 

Der freie Journalist Samuel Schläfli gewinnt zusammen mit Seraina Hügli und Lucas Pfister mit einer multimediale Webreportage «One Health – Mit neuem Gesundheitsverständnis gegen die nächste Pandemie». Das Team begleitete den Epidemiologen und «One Health»-Pionier Jakob Zinsstag auf einer Reise. Lange vor Covid-19 warnte Jakob Zinsstag vor Krankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen. Human- und Veterinärmediziner:innen müssten zusammenarbeiten, damit liessen sich Pandemien besser verhindern. Die Reportage ist auch in der «NZZ am Sonntag» erschienen. Esther Koller, Generalsekretärin der Schweizerischen Akademie für Technische Wissenschaften und Vertretung der Geschäftsleitung der Akademien betont in der Laudatio, dass der anschauliche Beitrag auch in Schulen eingesetzt werden könnte.

Qualitätsjournalismus ist nötiger denn je, das hat sich während der Pandemie und jetzt beim Ukraine-Krieg deutlich gezeigt.

 

Den Prix Média Newcomer gewinnt Lucas Vimpere. Der Geologe und Journalist fokussiert in einem Dokumentarfilm auf eine ausgestorbene Fischart im Libanon: «Les trésors cachés des montagnes libanaises». Lucie Stooss, Projektleiterin Prix Média, hebt in der Laudatio hervor, dass der Film eine Verbindung zur Klimaerwärmung herstellt und damit ein aktuelles Thema aufgreift. Der Film wurde mit einem Recherchebeitrag gefördert. Auch Alisha Föry und Céline Jenny bekamen einen Recherchebeitrag. Wissen bündeln, gemeinsam recherchieren, aufeinander abstimmen ­– das Arbeitsmodell der Zukunft wird von dem Journalistinnen-Team gelebt. Sie haben über «Psycho-Pilze» recherchiert. In den 1960er Jahren waren die Pilze in Künstler- und Intellektuellen Kreisen eine Art Partydroge. Aktuell gibt es darüber eine Renaissance in der Forschung.  Beim Public Voting der beiden fertigen Newcomer-Beiträge setzt sich jedoch Lucas Vimpere als Publikumsliebling durch und bekommt mit der Auszeichnung Prix Média Newcomer zusätzlich 4’000 Franken.

 

Nach all den lobenden Worten und Blumen ist es Zeit für eine etwas andere Wahrheit – ein Podium über «Fake News und Verschwörungstheorien – Learnings für die Zukunft». Mit Nadine Felber, Doktorandin in biomedizinischer Ethik der Universität Basel. Sie ist auch Co-Gründerin der Source Engine, einer «Firewall» gegen Misinformation, und Co-Leiterin von Reatch, einem transdisziplinären Think Thank. Mit Marko Kovic, Sozialwissenschaftler und Experte in Verschwörungstheorien. Vor 15 Jahren, in Zeiten von 9/11, hat er jedoch selber in einer sogenannten «Bubble» kommuniziert und ist durch diese Erfahrung eine interessante Stimme am Podium. Mit Philipp Schmid von der deutschen Universität Erfurt, der unter anderem erforscht, wie sich Wissenschaftsleugnung und Falschinformationen entkräften lassen. Mit Sophie Timmermann, Faktencheckerin beim ersten spendenfinanzierten Recherchezentrum correctiv.org in Deutschland. Entsprechend ist die Diskussion an diesem Abend, eine Mischung von Fakten, Anwendungen, Erfahrungen und Lösungen.

«Oft wird bei einer Meinungsverschiedenheit das Gegenüber mit Meinungen und Fakten überhäuft, so dass die Person in die Defensive geht und kein Gespräch entstehen kann.»

 

Marko Kovic erklärt, wie man für Desinformation empfänglich sein kann auf der Suche nach Antworten, indem man sich in einer Community mehr Zugehörigkeit erhofft und deshalb Fakten ausser Acht lässt. Philipp Schmid sagt, dass Menschen sich oft einfachere Erklärungsmodelle suchen, da ihnen die wissenschaftlichen zu kompliziert sind. Besonders betont er den Kontrollverlust, etwa während der Pandemie, der sei für viele eine Entlastung, wenn man für die Misere Schuldige findet. Damit werde der Raum für Verschwörungstheorien geschaffen. Nadine Felber kann das bestätigen. Ihr damaliger Freund erkrankte an Corona und suchte nach Schuldigen für seine Herzbeutelentzündung. In Verschwörungstheorien fand er seine Antwort. Nadine Felber sieht auch ähnliche Strukturen im Ukraine-Krieg. Die Unsicherheit von Informationen aus dem Kriegsgeschehen ist Brutstätte für Verschwörungstheoretiker.

 

Philipp Schmid gibt wertvolle Tipps für den Umgang mit Personen im Umfeld von Verschwörungstheorien. Er weiss aus vielen Berichten, dass heikle Themen oft umgangen werden. «Oft wird bei einer Meinungsverschiedenheit das Gegenüber mit Meinungen und Fakten überhäuft, so dass die Person in die Defensive geht und kein Gespräch entstehen kann.» Er regt das Publikum dazu an, in solchen Situationen den Dialog zu suchen, ohne dabei sein Gegenüber belehren zu wollen. «Erkennen Sie die Meinung der anderen Person an und fragen Sie, warum sie so denkt. Das bedeutet nicht, die Verschwörungstheorien zu bestätigen, sondern die Aussagen zu wiederholen und das Gegenüber nach seinen Beweggründen zu Fragen, um seinen Standpunkt besser zu verstehen», erklärt Schmid. Dies ermögliche ein Gespräch auf Augenhöhe. Erst wenn sich das Gegenüber gehört und verstanden fühle, könne ein fruchtbarer Dialog entstehen, in dem auch wissenschaftliche Erkenntnisse eine bessere Chance haben, ebenfalls anerkannt zu werden. Abschliessend hält Schmid fest, dass es hier um Personen geht, die noch nicht vollständig von Verschwörungstheorien überzeugt sind. «Personen, die gänzlich von diesen Theorien überzeugt sind, sind in der Minderheit - aber sie sind sehr laut. Eine Mehrheit ist lediglich unentschlossen und durchaus auch noch empfänglich für wissenschaftliche Argumente», schliesst Schmid mit einer positiven Note. Kurzum: das Podium an diesem Abend ist interessant, lebendig und stimmt nachdenklich.

 

Beim musikalischen Schluss mit dem Querflötenspiel von Marilina Rocia Mora und der Gitarre von Andrea Recinelli hängt das Publikum eigenen Gedanken nach. Schnell sind Stühle weggeräumt, Stehtische aufgestellt. Es darf weiter diskutiert werden – dafür ist das Debattierhaus «Karl der Grosse» geschaffen.